
Bindungstheorien sind ein zentraler Bestandteil der Psychologie und helfen uns zu verstehen, wie Menschen emotionale Verbindungen zu anderen aufbauen und aufrechterhalten. Wenn Du Dich selbst und dein Gegenüber besser ergründen möchtest, lohnt sich ein Blick auf die verschiedenen Bindungstypen, was sie ausmacht und welche Herausforderungen dabei in einer Beziehung entstehen können.
Die verschiedenen Bindungstypen

Das Thema Bindungstypen ist faszinierend, da es Einblicke in die Dynamik menschlicher Beziehungen und deren Auswirkungen auf unser Leben erlaubt. Man unterscheidet dabei zwischen sicheren, unsicheren und desorganisierten Bindungstypen.
Sie basieren auf dem Experiment „Fremde-Situations-Test“ (FST) der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth, welches das Verhalten von Kindern gegenüber ihren Müttern untersuchte, wenn diese den Raum kurzzeitig verließen. Auch das Verhalten des Kindes nach Rückkehr der Mutter wurde beobachtet, um schließlich Rückschlüsse auf die Sicherheit der Bindung zu ziehen.
Da aus Kindern Erwachsene werden, stellt sich natürlich auch die Frage, welche Bindungstypen Erwachsene aufgrund ihrer Erfahrungen im Kindesalter entwickeln und wie sich diese auf ihr Leben und ihre Beziehungen auswirken.
1) Der sichere Bindungstyp
Der sichere Bindungstyp hat in der Regel positive Erfahrungen in frühen Beziehungen gemacht, insbesondere mit primären Bezugspersonen. Diese Menschen fühlen sich in Beziehungen wohl und haben ein gesundes Selbstwertgefühl. Sie sind in der Lage, Nähe und Intimität zu genießen, haben jedoch keine Angst davor, verlassen zu werden und autonom zu leben.
2) Der unsichere Bindungstyp
Unsichere Bindungstypen kann man in zwei Kategorien unterteilen: ängstlich-ambivalent und vermeidend.
Ängstlich-ambivalente Bindung
Menschen mit einer ängstlich-ambivalenten Bindung haben oft unverlässliche oder unvorhersehbare Erfahrungen mit ihren Bezugspersonen gemacht. Sie sehnen sich nach Nähe und Bestätigung, haben aber gleichzeitig Angst vor Zurückweisung und Verlassenwerden, wodurch sie sich Intimität womöglich paradoxerweise entziehen. Auch der Versuch, das Gegenüber zu „kontrollieren“ und sich dessen Bindung zu sichern, kann ein Hinweis auf diesen Bindungstyp sein.
Vermeidende Bindung
Der vermeidende Bindungstyp hat oft die Erfahrung gemacht, dass seine Bedürfnisse nach Nähe und Unterstützung nicht erfüllt wurden. Menschen mit vermeidender Bindung neigen daher dazu, emotionale Distanz zu wahren und ihre Unabhängigkeit zu betonen. Das führt dazu, dass sie sich am liebsten auf sich selbst verlassen und eine schützende Mauer zwischen sich und andere ziehen.
3) Der desorganisierte Bindungstyp
Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil hatten oft traumatische oder chaotische Erlebnisse in ihren frühen Beziehungen. Das kann zum Beispiel durch schwere Vernachlässigung oder Missbrauch geschehen sein. Aufgrund ihrer Erfahrungen zeigen sie widersprüchliche Verhaltensweisen und haben Schwierigkeiten, stabile und konsistente Beziehungen aufzubauen. Die Angst davor, verletzt zu werden, wenn sie jemandem vertrauen oder zu nahe kommen, ist zu groß.
Beispiele für Beziehungsdynamiken unterschiedlicher Bindungstypen

Wenn unterschiedliche Bindungstypen in einer Beziehung aufeinandertreffen, kann das schon mal zur Herausforderung werden. Zum Beispiel wenn ein Partner zum vermeidenden Bindungstyp gehört und der andere eher Eigenschaften eines ängstlich-ambivalenten Bindungsstils aufweist.
Unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe
- Vermeidender Partner: hat oft das Bedürfnis nach emotionaler Distanz und Unabhängigkeit. Er oder sie kann sich unwohl fühlen, wenn der Partner zu viel Nähe sucht.
- Ängstlich-ambivalenter Partner: sehnt sich nach ständiger Nähe und Bestätigung. Er oder sie könnte sich unsicher und ängstlich fühlen, wenn der Partner sich distanziert verhält.
Kommunikationsprobleme
- Vermeidend: Neigt dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen und Gefühle nicht offen zu kommunizieren. Dies kann dazu führen, dass Probleme unausgesprochen bleiben.
- Ängstlich-ambivalent: Hat oft das Bedürfnis, über Ängste und Unsicherheiten zu sprechen. Geht der Partner nicht darauf ein, kann dies zu Frustration und Missverständnissen führen.
Verschiedene Bewältigungsstrategien
- Vermeidend: Neigt dazu, sich bei Stress oder Konflikten zurückzuziehen und sich auf sich selbst zu konzentrieren.
- Ängstlich-ambivalent: Könnte bei Stress oder Konflikten mehr Nähe und Unterstützung suchen, was den vermeidenden Partner überfordern kann.
Eifersucht und Misstrauen
- Ängstlich-ambivalent: Könnte aufgrund von Unsicherheit eifersüchtig und misstrauisch sein, was zu Spannungen in der Beziehung führen kann.
- Vermeidend: Könnte das Bedürfnis des Partners nach Unabhängigkeit als kontrollierend oder einengend empfinden.
Natürlich ist jedes Paar individuell – die obigen Beispiele können trotzdem einen Einblick in die Komplexität von Beziehungen geben und wie wichtig es ist, den eigenen Bindungstypen und den des Partners zu verstehen.
Auch wenn man nun den Schluss ziehen könnte, dass zwei Menschen wie im obigen Beispiel nicht zusammenpassen können, so lohnt es sich doch auch, sich noch einmal die sich die bietenden Chancen und Lernmöglichkeiten bewusst zu machen.
Chancen, voneinander zu lernen und zu wachsen

Partner mit unterschiedlichen Bindungstypen können durchaus eine glückliche Beziehung führen. Dies erfordert jedoch Arbeit an sich selbst und miteinander, gegenseitiges Verständnis und offene Kommunikation. Am Beispiel des Paars mit vermeidendem und ängstlich-ambivalentem Bindungsstil könnte das zum Beispiel so aussehen:
Beziehungsarbeit und Problembewältigung
Offene Kommunikation
Der vermeidende Partner kann üben, Gefühle und Bedürfnisse offener zu kommunizieren, auch wenn es unangenehm ist und zunächst Überwindung kostet. Der ängstlich-ambivalente Partner kann daran arbeiten, die eigenen Ängste und Unsicherheiten auf eine Weise auszudrücken, die den Partner nicht überwältigt, sodass dieser wiederum spürt: „Es ist sicher, mich zu öffnen und mich mitzuteilen. Das Ganze muss nicht zwangsläufig in einem Drama oder in Anschuldigungen enden“.
Verständnis und Einfühlungsvermögen
Beide Partner sollten sich bemühen, die Perspektive des anderen zu verstehen und empathisch auf seine Bedürfnisse einzugehen. Nicht zuletzt darf man sich auch in Verständnis und Liebe für sich selbst üben – denn die eigenen Baustellen nicht nur zu kennen, sondern auch anzunehmen, ist der erste Schritt zur Besserung.
Gemeinsame Ziele setzen
Gemeinsam gesteckte Ziele in der Beziehung können helfen, eine gemeinsame Basis zu schaffen und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Liegt der Fokus darauf, was einen zum Beispiel als Paar begeistert oder in welche Richtung man gehen will, dann schweißt das zusammen.
Zeit für sich und den Partner
Es ist wichtig, Zeit für sich selbst und für den Partner zu haben, um eine gesunde Balance zwischen Nähe und Unabhängigkeit zu finden. So kann es eine Beziehung stärken, wenn jeder auch mal etwas mit anderen Freunden unternimmt oder an eigenen Projekten arbeitet. Nach dieser „Me-Time“ dann wieder zusammenzukommen, kann die Freude über das Zusammensein verstärken. Man lernt die Nähe des Partners zu schätzen, ebenso wie die eigene Unabhängigkeit und das Gefühl, sich selbst genug zu sein.
Therapie und Beratung
Manchmal kommt man einfach nicht alleine weiter. Man merkt zwar, dass etwas nicht stimmt, versteht aber womöglich das eigene Verhalten und die eigenen Gefühle nicht so recht. Paartherapie oder Einzelberatung können helfen, tiefer liegende Probleme zu erkennen und zu bearbeiten.
Mit Fingerspitzengefühl und Geduld ans Ziel
Unterschiedliche Bindungstypen zu sein, muss also nicht zwangsläufig das Aus einer Beziehung bedeuten. Sind beide gewillt, an sich und der Beziehung zu arbeiten, kann man voneinander lernen und die Eigenschaften des Partners, welche zunächst für Konflikte in der Dynamik sorgen, in einem anderen Licht sehen.
So kann zum Beispiel der vermeidende Partner lernen, seine eigenen Bedürfnisse und Gefühle offener zu formulieren und Emotionen ohne Angst zu zeigen, während der ängstlich-ambivalente Partner die Chance bekommt, die eigene Unabhängigkeit zu spüren und sein Selbstwertgefühl zu stärken.
Verständnis und Kommunikation sind das A und O
Die verschiedenen Bindungstypen bieten wertvolle Einblicke in die Dynamik menschlicher Beziehungen. Jeder Bindungstyp bringt einzigartige Herausforderungen und Chancen mit sich, die das Leben der betroffenen Personen auf unterschiedliche Weise beeinflussen können. Durch das Verständnis dieser Bindungstypen können wir nicht nur unsere eigenen Beziehungsmuster besser erkennen, sondern auch Wege finden, um gesündere und erfüllendere Beziehungen zu führen.
Sehr informativer Beitrag, gefällt mir! Beim Lesen habe ich mir die Frage gestellt, ob sich auch ein sicherer Bindungstyp „nachträglich“ noch verändern kann? Gerade, weil man Menschen mit einem unsicheren oder desorganisierten Bindungstyp therapieren kann – wo ein Wandel von „negativ“ in „positiv“ möglich ist. Was meinst du? 🤔
Eine spannende Frage! Grundsätzlich sind Menschen mit einem sicheren Bindungstyp tendenziell wohl weniger anfällig dafür, in ungesunde oder toxische Beziehungsdynamiken zu geraten, wo sie negative Erfahrungen machen, die sie prägen. Man ist von Vornherein besser gewappnet gegen manipulatives Verhalten oder lässt Menschen, die einem nicht gut tun, gar nicht erst in den „eigenen Bereich“. Trotzdem können Lebenskrisen oder sehr prägende Situationen das eigene Selbstbild, den Selbstwert oder das Vertrauen in andere bestimmt soweit erschüttern, dass sich das Bindungsmuster wandelt.