Warum Abgrenzung oft so schwerfällt und wie man lernt, Grenzen zu setzen

Abgrenzung ist die Fähigkeit, klare und gesunde Grenzen zwischen den eigenen Bedürfnissen, Gefühlen und Verantwortlichkeiten und denen anderer zu ziehen. Das ist besonders wichtig für das persönliche Wohlbefinden und die Aufrechterhaltung gesunder Beziehungen.

Vielen Menschen fällt es aber schwer, für sich selbst einzustehen oder Nein zu sagen. Doch das muss nicht sein – denn Abgrenzung kann man lernen und so die eigene Lebensqualität und das Selbstbewusstsein steigern.

Deshalb ist Abgrenzung so wichtig

Die Fähigkeit, sich abzugrenzen, trägt dazu bei, emotionale und körperliche Überlastung zu vermeiden, Selbstachtung zu fördern und respektvoll miteinander umzugehen.

1) Identität und Bedürfnisse schützen

Abgrenzung ermöglicht es, die eigenen Interessen und Wünsche zu berücksichtigen und nicht in den Erwartungen und Ansprüchen anderer unterzugehen.

2) Das Selbstwertgefühl stärken

Gesunde Abgrenzung zeigt, dass man sich selbst wertschätzt und die eigenen Bedürfnisse ernst nimmt.

3) Vermeidung von Überforderung und Burnout

Wer sich klar abgrenzt, schützt sich vor Überlastung und Erschöpfung, indem er sich Zeit für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse nimmt.

4) Beziehungen auf Augenhöhe

Grenzen setzen fördert respektvolle und ausgeglichene Beziehungen, indem beide Seiten ihre Bedürfnisse klar kommunizieren und respektieren.

Wieso kann ich mich nicht gut abgrenzen?

Abgrenzung will gelernt sein und ist gar nicht so einfach. Die Ursachen für mangelnde Abgrenzung gehen oft tief und liegen darin verwurzelt, wie wir uns selbst wahrnehmen und wertschätzen.

Geringes Selbstwertgefühl

In der Kindheit lernen viele Menschen, dass ihre eigenen Bedürfnisse weniger wichtig sind als die anderer. Dies kann dazu führen, dass sie in späteren Beziehungen Schwierigkeiten haben, Grenzen zu setzen. Erziehung und Sozialisation legen also einen wichtigen Grundstein für die Fähigkeit, sich abzugrenzen.

All das wirkt sich auf das Selbstwertgefühl aus und bestimmt, wie viel Wert wir dem eigenen Wohlbefinden beimessen und ob wir uns zugestehen, gesehen und gehört zu werden. Ein geringes Selbstwertgefühl kann bewirken, die eigenen Bedürfnisse als weniger wichtig einzustufen und für die Wünsche und Erwartungen anderer zu leben.

Grund dafür kann zum Beispiel die Angst vor Konflikten sein. Es wird versucht, es allen recht zu machen und so vermeintlich die Harmonie zu wahren. Auch das Gefühl, nur durch die Erfüllung der Bedürfnisse anderer Anerkennung und Wertschätzung zu erhalten, kann zur Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse führen.

Keine Angst vor Abgrenzung

Viele Menschen wurde von Kindesbeinen an eingetrichtert, dass sich selbst wichtig zu nehmen, egoistisch ist und es sich nicht gehört, sich vermeintlich in den Vordergrund zu drängen oder aufzufallen. Möglichst unaufällig und „pflegeleicht“ soll man sein.

Dabei ist Abgrenzung ein essentielles und kraftvolles Werkzeug für die Entwicklung und Erhaltung der eigenen psychische, mentale und körperliche Gesundheit.

Auch geht es nicht darum, von jetzt an kategorisch Nein zu sagen, jeden von sich wegzuschieben oder blind für die Gefühle anderer durchs Leben zu gehen. Gesunde Abgrenzung zeichnet sich dadurch aus, den eigenen Bedürfnissen und Wünschen einen angemessenen Raum zu geben und sich bewusst zu machen, dass man wertvoll ist und es daher verdient, glücklich und gesund zu sein.

Besseres Selbstwertgefühl = leichter abgrenzen

Abgrenzung zu lernen ist ein Prozess und erfordert Geduld und Mitgefühl für sich selbst. Am Anfang steht die Arbeit, herauszufinden, wieso es schwer fällt, sich abzugrenzen. Kommen Dir zum Beispiel immer bestimmte Glaubenssätze in den Kopf, die Dich davon abhalten, für Dich einzustehen? Das könnte sowas sein wie „Wenn ich meine Meinung sage, falle ich unangenehm auf“ oder „Wenn ich Nein sage, ist meine Freundin enttäuscht und mag mich nicht mehr“.

1) Verstehe Dich selbst

Nimm Dir Zeit und identifiziere, welche Glaubenssätze in Dir verankert sind. Überlege, welche Überzeugungen Deine Eltern oder Bezugspersonen Dir vermittelt haben und wie bei Dir zuhause mit Bedürfnissen und Wünschen umgegangen wurde. Wurdest Du vielleicht stets dafür gelobt, immer sehr bescheiden und hilfbereit zu sein?

Es kann helfen, all das aufzuschreiben und es schwarz auf weiß vor Dir zu haben. Auch Meditation oder Rollenspiele in Form von imaginären Diaologen können an die Oberfläche bringen, welches Weltbild und welche Selbstwahrnehmung Du hast.

2) Akzeptiere Dich selbst

Um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, ist es wichtig, Dich so anzunehmen, wie Du bist. Mit all Deinen Unzulänglichkeiten und Fehlern. Natürlich ist es gut und wichtig, an sich zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln – doch dazu gehört auch, alle Anteile, die momentan da sind, zu umarmen und ihnen Raum zu geben. Mach Dir bewusst, dass Du nicht perfekt sein musst – Authentizität ist der Schlüssel zum Erfolg.

Gerade am Anfang wird es Dir vielleicht oft noch nicht gelingen, so für Dich einzustehen, wie Du es gerne hättest. Keine Sorge – Übung macht den Meister. Denn jedes Mal, wenn Du Dir Deine Bedürfnisse bewusst machst und sie (wenn auch mit zittriger Stimme) kommunizierst, bist Du einen Schritt weiter.

3) Übe Dich in Selbstfürsorge

Egal ob ein regelmäßiger Saunabesuch, ein Filmeabend mit Freunden oder ein Spaziergang im Park. Überlege, was Dir gut tut und Spaß macht – das kann auch täglich frisch kochen bedeuten oder Dir täglich eine Stunde ganz „egoistisch“ Zeit und Raum für Dich zu nehmen. Erinnere Dich daran, dass Du es wert bist und nimm dir heraus, Dein Ding zu machen.

Durch kleine und Rituale im Alltag lernst Du nach und nach, Deine Bedürfnisse zu erfüllen, sodass es sich immer natürlicher und leichter anfühlen wird. Das wird Dich außerdem für Situationen rüsten, wo Du aktiv eine Bitte oder Forderung ablehnen oder einem Gegenüber sehr klar Deine Grenze verständlich machen musst.

4) Definiere Deine Werte

Um zu wissen, was für Dich okay ist und was nicht, musst Du Deine eigenen Werte kennen. Finde heraus, wofür Du stehst und führe Dir diese Werte immer wieder vor Augen, wenn Du Dich in Situationen wiederfindest, wo Du für Dich einstehen musst.

Das hilft dabei, Dich besser von äußeren Faktoren wie der Meinung anderer, Bewertungen oder bestimmten Erwartungen zu lösen. Dein innerer Kompass wird Dir dann sehr schnell signalisieren: „Stopp, bis hierhin und nicht weiter“ und Dich mit der benötigten Portion an „Widerspenstigkeit“ und Aufbegehren ausstatten, die in solchen Situationen gesund und hilfreich sind.

5) Befreie Dich von Schuldgefühlen

Zu Guter Letzt ist es wichtig, Dir bewusst zu machen, dass Dich gerade am Anfang Deiner „Abgrenzungs-Reise“ mit großer Wahrscheinlichkeit hartnäckige Schuldgefühle begleiten werden. Aber nicht aus dem Grund, weil Du wirklich etwas falsch machst oder gemein zu anderen bist, sondern weil Du es schlichtweg nicht gewohnt bist, Grenzen zu setzen.

Das Unterbewusstsein ist leider ein ziemliches Gewohnheitstier und wird zunächst alle Hebel in Gang setzen, um Dich weiter auf dem gewohnten Kurs zu halten – alles unter dem Deckmantel der vermeintlichen Sicherheit. Ganz nach dem Motto: „Alles, was wir nicht kennen, wird erst einmal als Bedrohung eingestuft und bekämpft“. Schuldgefühle sind in diesem Fall ein Mechanismus Deiner Psyche, um mit der ungewohnten Situation umzugehen bis sich die Gehirnsynapsen neu verkabelt haben.

Mut zur Lücke

Sich erfolgreich und ohne Schuldgefühle abzugrenzen benötigt also Übung und Geduld. Doch wer sich traut und selbstbewusst Grenzen setzt und für die eigenen Bedürfnisse einsteht, wird belohnt und tut etwas für sich und seine Gesundheit.


2 Kommentare

  1. Ich habe viel Neues gelernt, als ich deinen Blogbeitrag zum Thema Abgrenzung gelesen habe! Ein paar Dinge waren mir nicht bewusst, z.B. dass man zu Beginn des Abgrenzungsprozesses Schuldgefühle empfinden kann.
    Außerdem mag ich deinen Schreibstil sehr. Du bist klar und empathisch mit deinen Worten. Genauso ist der Artikel übersichtlich gegliedert. Und durch die Bilder wirkt er ästhetisch und ansprechend.
    Hat richtig Spaß gemacht, ihn zu lesen! Vielen Dank für deine Mühen und deine Arbeit! 🙂

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